Statt Angstkampagnen Besonnenheit in der Flüchtlingskrise
Ich glaube, wir sind am Ende der zentralen Lebenslüge. Viele Jahrzehnte haben wir uns vorgemacht, das konkrete Leid, das in den Ländern des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas den Alltag von Milliarden Menschen prägt, ließe sich für die kommenden Jahrzehnte in unserer Lebenswelt auf Distanz halten. Wir hegten die Illusion eines Kerneuropas als mauerloser Paradiesgarten in einer Welt des Elends. Damit ist es vorbei. Vor diesem Hintergrund möchte ich mit fünf Zurufen den Versuch unternehmen zu Besonnenheit aufzurufen, damit Nachdenken und Vernunft nicht der augenblicklichen Hysterie zum Opfer fallen. Panik getriebene Politik bringt nur diejenigen in den Fokus, die Angstkampangnen starten und das Konfrontative suchen, um damit Profil zu gewinnen, wie es kürzlich AfD Gauweiler in der Badischen Zeitung sogar ausdrücklich bestätigt hat.
1.
Die Lage hat sich erst seit Sept. 2015 (!) so dramatisch zugespitzt. Seitdem wurde auf allen Ebenen mit sehr großen Anstrengungen gearbeitet / Die Zahl der Geduldeten (also Ausreisepflichtigen) liegt bei 24.000, eine hohe Zahl, aber die war schon 2004 genauso hoch (ohne Panikdiskussion). Auch müssen Abschiebehindernisse zur Kenntnis genommen werden: keine Papiere, keine Mitwirkung, gesundheitliche Aspekte) - im Innenministerium wurde ein Rückführungsmanagement entwickelt / Abschiebung : 2014: 1211 - in 2015: 2449 (plus 10 %). Freiwillige Rückkehr: 2014: 2.500 - in 2015: 5.279 (plus 111%). Auch in Bezug auf Straftäter (wird ja behauptet, da geschehe nichts( eine Zahl: 291 Abschiebungen in 2015. Dennoch ist m. E. festzustellen dass Rückführungen das Problem nicht lösen und vor allem dürfen rechtstaatliche Positionen nicht geschliffen werden.
2.
Die Kapazitäten bei der Aufnahme, Versorgung und Integration von Flüchtlingen in Deutschland sind natürlich nicht unbegrenzt. Alles andere ist eine Illusion. Das zentrale gesellschaftspolitische Versäumnis der CD, ist - so Altkanzler Schröder, das ein Einwanderungsgesetz stets abgelehnt worden sei: "Da wurde schlicht die Realität ignoriert. Mit der Folge, dass jetzt Hunderttausende Flüchtlinge rechtlich in ein Asylverfahren gepresst werden, weil man keine Kontingente über ein Einwanderungsgesetz definiert hat". Es ist unstrittig, dass die schnell anwachsende Zahl von Flüchtlingen in der Versorgung und Unterbringung große Probleme bereitet. Reduzierung und Steuerung sind notwendig. Die Grenzen dicht zu machen ist keine Lösung. Im "besten" Fall werden sich Flüchtlingsbewegungen durch einen Dominoeffekt dorthin bewegen, wo sie (in den allermeisten Fällen) aus guten Gründen geflüchtet sind. Den Großteil der Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen tragen übrigens weiterhin jene Länder, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen; viele von ihnen sind Entwicklungsländer. Weit über 60 Millionen sind weltweit auf der Flucht.
3.
Es muss weniger Flüchtlinge geben. Dafür müssen die Fluchtursachen reduziert, die Kontroole an den Grenzen, und zwar an den EU Außengrenzen wiedergewonnen werden und Abschiebungen im Rahmen des Rechts vorgenommen werden. Die Diskussion um eine Erweiterung der s. g.: "sicheren Herkunftsstaaten" löst m. E. das Problem nicht. Marokko, Tunesien, Algerien könnten zwar zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Es gibt aber Zweifel, ob sie sicher sind und ob das die Flüchtlingszahlen eindämmt. Auch fehlt es an der notwendigen Kooperation. "Die fehlende Kooperation könnte daran liegen, dass Marokko, Algerien und Tunesien schon seit Jahren versuchen, mit der EU über Visumslockerungen zu verhandeln, sowie über großzügigere legale Möglichkeiten für junge Menschen Arbeit in Europa zu finden". sagt Isabelle Werenfells, Nordafrika-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, die auch die Bundesregierung berät. "Jetzt haben sie einen Hebel an der Hand". Die Entwicklunshilfe zu kürzen ist für mich keine Lösung. Der Politikwissenschaftler Werner Ruf z. B. hält den Vorschlag, nordafrikanische Länder zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, für zynisch und empfiehlt, sich die Berichte zur Menschenrechtslage in Marokko und in Algerien anzuschauen. "Wir können Leute nicht in Länder abschieben, in denen ihnen Folter und Mord droht", sagt Ruf im DLF. Außerdem verursachten Deutschland und die EU "das Elend der Migranten und der Flucht" selber. Ich meine: Nachdenkenswert!
4
Deutschland war schon lange ein Einwanderungsland. Dies wurde allerdings seit Jahrzehnten geleugnet. Das macht den Umgang mit den Neuankömmlingen und ihre Integration schwer. In der panischen Diskussion der letzten Tage muss allerdings eines klar sein: Zuwanderer müssen die Regeln hier akzeptieren! Dies tut die übergroße Mehrheit! Kriminelle Minderheiten müssen durch Rechtsstaat sankioniert werden. Wer das nicht akzeptiert, muss eine eindeutige, schnelle, harte Antwort bekommen - dies gilt nicht nur für Flüchtlinge. Die rechtlichen Instrumente sind vorhanden. Eine Anpassung von Gesetzen (z. B. im Sexualstrafrecht) halte ich für sinnvoll, den Überbietungswettbewerb bei der Verschärfung der Asylgesetze nicht.
5.
Integration kostet Geld, Sicherheit in öffentlichen Räumen auch. Aber: Wir sind ein reiches Land. Der Hinweis auf die "Nichtfinazierbarkeit" ist fast zynisch, wenn man bedenkt, wie stark die Schere zwischen Reichen und Armen auseinandergeht, auch in Baden-Württemberg. "EurActiv" hat erst kürzlich darauf hingewiesen, dass die weltweit wohlhabendsten 62 Menschen über ein größeres Vermögen verfügen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung beziehungsweise 3,7 Milliarden Menschen.. Die Konzentration des Reichtums nach oben hin hat sich in den letzten Jahren immer weiter verstärkt. Ein Blick auf unvorstellbare Not und Elend sollten dazu führen, dass wir auch in Bezug auf die Finanzierung von Integration einen weiteren Blick bekommen.